Fotos: Alexandra Riegler
zum Stück
Zwei Wiener Schwestern an der Schnellbahnstation Zentralfriedhof auf ihrem Weg in die Stadt. Eine Reise in die Vergangenheit, mit einer amerikanischen Touristin mit im Gepäck.
Ein autobiographisches Stadtporträt.
netz/nest
(2010)
publiziert in: wortstätten anthologie nr. 4. edition exil, Wien 2010
UA 2010 Garage X, Wien; Auskoppelung aus: Mein Wien – Vier dramatische Episoden. Von Ana Bilic, Jasmina Eleta, Ursula Knoll & Rhea Krcmárová. UA Kabelwerk Wien, Oktober 2009
figuren:
susanne
anna
jodi
1.
schnellbahnstation zentralfriedhof. 14.46h.
susanne steht und wartet. jodi, einen tramperrucksack auf dem rücken, steht neben ihr.
jodi (zeigt in richtung stadt) city center?
susanne ja
jodi vienna?
susanne ja, ja.
jodi you’re sure?
susanne ja.
jodi does not look like.
susanne (zuckt mit den achseln) ja.
susanne setzt sich auf die bank. jodi packt eine kamera aus und beginnt zu fotografieren.
jodi will ein bild von susanne machen.
susanne you should ask before.
jodi sorry. so, may I?
susanne nein.
jodi why not?
susanne I don’t want to.
jodi but you look nice.
susanne I said I don’t want to.
jodi ok.
jodi macht weiter fotos.
susanne
jeder bahnhof, sogar diese station im nirgendwo, die sich zwischen die felder pickt, ist wie der westbahnhof. der himmel ist grau, wie fast immer in dieser stadt. meine schwester und ich stehen am bahnsteig, rauchen eine schnelle zigarette. budapest, bukarest, basel. wir können es uns aussuchen. am ende wird es wohl linz oder graz oder salzburg werden. immerhin. ein anderes grau sehen. es geht um uns, nicht um den ort, haben wir beschlossen, und entscheiden uns für den nächstmöglichen, egal wohin.
jodi (deutet auf den zentralfriedhof) what’s this?
susanne for sightseeing.
jodi oh yes?
susanne ja.
jodi can you take a picture of me?
susanne you’re sure?
jodi ja.
jodi stellt sich unter das schild zentralfriedhof. susanne macht das foto.
jodi thanks.
susanne no problem.
jodi you’re nice.
susanne ja.
jodie so this is a famous place?
susanne
hinter dem zug nach bukarest, der am gleis daneben bereit steht, ziehen sich die dächer der zinshäuser. ein zweiter, viel längerer zug. die felberstraße. die straße, die uns am vertrautesten von allen straßen ist. war. ich muss sagen war. die straße, die für so vieles, für so widersprüchliches steht. stand. ich muss sagen stand. jeden tag gingen wir den weg in die schule am maschendrahtzaun entlang, das fahren der personenzüge, lastzüge, lokomotiven beobachtend. wir streckten unsere finger durch die löcher. nur ein paar meter, die böschung hinunter, und wir konnten überallhin, wohin wir wollten, die hand ein wenig weiter ausgestreckt, noch weiter weg, wohin wir uns träumten.
jodi so this is a famous place?
susanne ja.
jodi cool.
anna kommt auf den bahnsteig und auf die beiden zu.
jodi vienna?
susanne ja.
jodi you’re really sure?
susanne of course.
anna setzt sich neben susanne. sie zünden sich eine zigarette an.
anna warum rennst mir immer davon?
jodi that’s bad for your health.
anna so what?
schweigen
jodi where do you come from?
susanne deutet auf den zentralfriedhof.
jodi no, I mean /
anna / where are you from?
jodi I came directly from the plane.
anna no, where do you come from?
jodi the airport.
anna got it. falsch ausgstiegn.
susanne (zeigt auf den himmel) das wird immer dichter, da oben.
jodi yes, yes. airplane.
anna ich versteh eh.
jodi is it true, that everything is so old here?
anna ja.
susanne nein. sie is ende zwanzig.
jodi that’s so awesome.
susanne nein. beklemmend is.
jodi what?
susanne it is (würgt an ihrem hals) you know.
jodi why? you should be proud to live in a tradition like this.
susanne derschlagen tuts dich, manchmal.
jodi pardon?
anna
immer zog mich meine mutter am arm, es war herbst, zog mich am arm, die felberstraße hinunter, an einem hauseingang vorbei, in dem eine frau stand, mit kurzem schwarzem kleid, hohen stiefeln, einer dünnen jacke, und immer fragte ich meine mutter, was sie hier tue, und immer sagte meine mutter, sie warte auf ihren freund, und immer fragte ich sie, warum die frau so dünn bekleidet sei, wo ich doch in meiner hässlichen kinderjacke fror, und immer wieder liefen wir, in trachten gesteckt, in walkjanker und dirndl geschnürt, die beiden kleinen mädchen in dirndl gezwängt, sie darin eingeschnürt, auf dem weg zur kirche an dieser frau vorbei, mit diesen idiotischen kniestrümpfen, die die haut auf meinen beinen bis zur unerträglichkeit reizten und ich nicht kratzen durfte, weil es sich für eine dirndlhaltung nicht schickte, und immer hielt ich ausschau nach der frau, die auf ihren freund warten musste und immer stellte ich mir vor, wie sie sich fragen würde, warum ich bei diesem wetter mit kniestrümpfen mit löchern die straße entlanglief.
susanne I said it’s sometimes punching your head.
jodi what?
susanne the tradition.
jodi I don’t get it.
susanne never mind.
jodi is this a german metaphor?
susanne nein.
anna was nein?
susanne es war sommer.
anna egal
susanne
es war sommer, ich lief die felberstraße mit meinen brandneuen converse hinunter. es regnete, die stoffschuhe hatten sich binnen kürzester zeit mit wasser vollgesogen, sodass mein laufen eher einem watscheln gleichkam, und doch watschelte ich stolz, im bewusstsein, dass mich diese schuhe kein kind mehr sein ließen, die felberstraße hinunter, bis zur großen kreuzung am ende, wo fünf straßen zusammenliefen, wo ich die ampelschaltung nach sekunden genau auswendig wusste, wo die züge über die brücke hoch über mir hinwegrollten. die felberstraße sah mir zu, wie ich da stand, in meinen schicken converse, im geruch der autoabgase, eingehüllt in den gleichmäßigen lärm der räder auf den schienen. sie sah mir zu, wie mein körper länger wurde, meine haut unreiner, mein busen – eine katastrophe – komisch abzustehen begann und mein selbstverständnis als kleiner bub komplett unterlief. sie sah mir zu /
anna
/ es war winter, immer war es winter, die felberstraße vereist, und immer rutschte ich sie mit meinen brandneuen converse hinunter, und immer lag auf dem gehsteig eine alte frau, immer direkt vor mir. ihr blick traf mich, ich sah weg, verlangsamte meinen schritt, und immer wusste ich, ich sollte hingehen und ihr aufhelfen, ihren körper auf meine arme stützen und sie hochziehen, und immer grauste mir nur. ich sah dieses braune bündel vor mir auf dem boden. so wie mein vater da gelegen hatte, sturzbetrunken, in seinem walkjanker, ein paar wochen zuvor, nur einige hundert meter von der stelle entfernt. so wie ich ihn liegen gelassen, wie ich mich nicht mehr nach ihm umgedreht hatte, immer, ohne zu wissen, dass es das letzte mal in meinem leben gewesen sein sollte, dass ich ihn sah. die frau blickte mich an, immer blickte sie mich an, während ich langsam um sie herum ging, dann schneller, immer schneller, in meinem rücken spürte ich sie ganz deutlich. ich schämte mich. immer schämte ich mich für mich, für sie, für meinen vater.
susanne nein.
anna was nein?
susanne es war herbst.
jodi nein. nein. nein.
anna/susanne was nein?
jodi you are cute when you talk in this language.
anna warum rennst mir immer davon?
susanne du warst so langsam.
anna ich hab die kerzen noch anzunden. das hättst abwarten können.
susanne wollt dich nicht stören.
anna gibt susanne eine kerze.
anna ich mach die arbeit nicht für dich.
susanne hab dich auch nicht drum beten. is dein scheiß jahrestag.
anna seiner.
susanne is dein ganzes tamtam.
anna spürst nie eine traurigkeit.
susanne drück mich halt anders aus.
anna sieht ma nix davon.
jodi so there’s no sun here?
anna never. but you should go to the alpen, there it is beautiful and full of sun.
jodi I see.
susanne that’s not true.
anna you know skiing?
jodi no.
anna wirft sich in skipose.
anna you see.
jodi oh that’s cute.
anna you see, this is really cultural.
susanne don’t listen to her. she just makes fun of you. she loves to play the strange yokel.
jodi I see.
anna was hast gsagt?
susanne nix.
anna dass ich ein jogel bin.
susanne 1km gegen den wind.
anna was is dein problem?
susanne nix.
anna was mischt dich dann ein?
susanne lass in frieden.
anna was geht dich das an? (zu jodi) she’s a crazy girl.
jodi I see.
anna where do you go?
jodi to vienna.
anna no where do you go? anyways you should go to the alpen. it is more beautiful there.
jodi ok.
anna listen to me.
jodi ok.
susanne jetzt lass endlich in frieden.
anna was zickstn rum da die ganze zeit?
susanne du nervst.
anna she is totally (tippt sich mit dem finger an die stirn) plemplem.
jodi oh that’s cute. plemplem?
anna plemplem
jodi I see.
susanne geh sterbn endlich.
jodi why are you fighting all the time? are you lesbi?
anna she’s my sister
jodi oh I see.
anna ja
jodi I see
anna ja
jodi when does the train come?
susanne it should have been here 10 minutes ago.
anna no hurry. you know, we are really kommod.
jodi commode?
anna verstehst? (lehnt sich zurück) comfortable.
jodi a comfortable commode?
anna ja.
jodi ok.
susanne wer soll das sein, wir?
anna warum redest dagegen, immer wenn ich was sag?
susanne in jeder kleinigkeit hast was von großer oper. immer fühl ich mich dadurch auch tragisch.
anna dann schleich dich halt.
2.
15.46h
jodi it’s fucking cold here.
susanne ja.
jodi where’s the train?
susanne don’t know
anna über eine stunde is das jetzt.
susanne ich hab dir gsagt, da braut sich was zam.
scheißwind scheißschnee. I mean: shitwind shitsnow
jodi is there always a wind like this?
susanne the whole city is only wind, verstehst?
jodi no.
susanne na scheiß drauf.
anna alles friert da ein langsam.
jodi is this normal?
anna nein.
susanne ja.
anna no, it’s not.
but I told you you should have gone skiing, verstehst?
jodi I see.
susanne hast du an empfang?
anna nein.
susanne was machma jetzt?
anna na sitzen halt.
jodi (deutet auf susannes gesicht) what’s this?
anna what?
jodi here, on her cheek.
susanne eisblumen krieg ich halt.
anna was?
susanne na eisblumen. da, schau, im gsicht.
jodi what’s wrong?
anna there are iceflowers in her face.
jodi iceflowers?
anna na so bletschn im gsicht halt. that’s normal.
jodi I see.
anna that’s how she normally reacts.
jodi I see.
anna legt ihre hände auf susannes gesicht.
susanne danke
anna wirds warm so?
susanne ja.
anna soll ich reiben?
susanne ja.
anna tu ich dir weh?
susanne nein.
anna wirklich?
susanne nein. ich mein ja.
anna ja?
susanne ja.
anna wirklich?
susanne ja.
schweigen. susanne legt ihre hände auf annas hände.
susanne
meine schwester wohnt im haus gegenüber, das eigentlich dasselbe haus ist, denn es ist ein kleines haus im hof eines großen hauses, aber ein- und dasselbe haus, in einer anderen straße, weit weg von der felberstraße. von meinem fenster sehe ich zu ihrem hinüber. seit ich denken kann, ist meine schwester da, wo ich bin, seit ich denken kann, sind meine schwester und ich ineinander verstrickt. immer hatten wir diese räumliche nähe, die nicht unbedingt und automatisch wirkliche nähe, intimität, mit sich bringt.
anna
meine schwester dämpft die zigarette aus. wenn sie spricht, ist ihre stimme manchmal so hoch, dass ich angst kriege, sie werde abheben, sie, diese dünne, zarte frau, werde abheben wie ein heißluftballon, fortgetragen von ihren sätzen, die mich immer halb zurücklassen, immer unsicher, worauf ich achten soll, auf die zwischenräume, die vielen leerstellen zwischen ihren wörtern oder die wörter selbst, hervorgepiepst, denen ich so wenig trauen kann.
jodi will ein foto von den beiden machen.
jodi that’s awesome
susanne hält ihre hand gegen die kamera.
jodi come on.
anna (zu jodi) hör auf. she told you that she hates that.
jodi it’s a pity.
anna why are you so unfriendly all the time. (zu jodi) I’m sorry.
jodi that’s ok.
susanne bin ich nicht
anna bist du
jodi people don’t seem unfriendly here.
anna des sans.
jodi distance?
anna no I said they are.
susanne she’s joking.
jodi I see.
susanne this is the most beautiful place when you can leave it. believe me.
anna no. when you come back.
susanne wennst gehn kannst.
anna wennst zurück kannst.
jodi that’s kitsch anyway.
susanne no, that’s how we feel.
jodi what‘s the difference?
susanne
vielleicht lässt sich als einziges sagen, dass ich mich meiner schwester nur nah fühle, wenn ich von ihr weg kann, in dem augenblick, wo ich in den zug oder ins flugzeug steige, ganz egal, getrennt von ihr. vielleicht ist das aber auch verkehrt. vielleicht lässt sich als einziges sagen, dass ich mich meiner schwester nur nah fühle, wenn ich wieder zu ihr zurück kann, in dem augenblick, wo ich aus dem zug oder dem flugzeug aussteige, wieder zu ihr hin. vielleicht ist das aber auch genau dasselbe.
3.
16.46h
anna was macht die grad?
susanne egal.
anna die hat schon lang nix mehr gsagt.
susanne schaut eh glücklich aus.
anna aber so schief sitzen tuts.
susanne träumen wirds.
anna von was?
susanne was weiß ich.
anna von was solls träumen, bei dem wind?
susanne nur weil du nix träumst, bei dem wind, kanns ja trotzdem.
anna was is, wenn mit der wirklich was is?
susanne was soll sein?
anna na schaus an.
susanne eingfrorn is halt.
anna aber die lächelt so.
susanne wie?
anna so amerikanisch
susanne na eh
anna wenn die uns abdriftet, wirds noch gschissener hier.
susanne dann mach halt.
anna hey you
hello?
are you ok?
jodi
california offers unparalleled diversity. the diversity of culture, scenic beauty and things to do make california unlike any other place in the world. you would never want to leave it.
anna geh drehs ab wieder.
susanne is eh schön. (zu jodi) this sounds charming, go on.
jodi
yes. you may have missed your opportunity to strike it rich during the california gold rush, but local landmarks, annual celebrations, and history museums in auburn, nevada city, and angel’s camp will take you back. you can still pan for gold on the rivers that run throughout this region, though fishing, rafting and kayaking are more popular nowadays. you should go there.
susanne ja
jodi honestly.
susanne would like to.
jodi
drive through the central valley, and you’ll see evidence of how life here has historically revolved around agriculture. you’ll find incredible farmer’s markets, roadside produce stands, and festivals that celebrate local specialties: wine, tomatoes, asparagus, cheese and more.
susanne I really would like to go there one day.
jodi you can come with me.
susanne you’re sure?
jodi why not. you seem nice.
susanne du auch.
jodi you really seem nice, when you stop being so shy.
susanne ja. you really seem nice too.
jodi I can show you everything. we can get a car and /
anna / mit der straßenkarte von kalifornien ganz simmering durchwandern.
susanne drückst dich selber, vorm leben.
anna
im sommer, im sommer ist das fantastisch hier, weil dort hinten, rechts hinten, dort ist der friedhof der namenlosen mit dem albener hafen, an dem die ganzen wasserleichen anonym angespült und wahrscheinlich vollgesoffen von wasser, ja, voll besoffen aus der donau herausgefischt, und dort gibt es ein gasthaus, mit einer kellnerin, die kommt alle 3 minuten, alle 3 minuten kommt sie mit ihren schwarzen nylonkniestrümpfen, klobigen kellnerinnenschuhen und dieser weißen schürze über ihr schwarzes kleid gebunden, die haare zu einem strengen knoten nach hinten drapiert, mit einem riesigen tablett nobler surschnitzel und weißen dopplern, alle 3 minuten surschnitzel und doppler, und alles wirkt so verlassen, alles wirkt wie vor jahrzehnten da hingestellt und nie wieder angeschaut, wie diese kellnerin, wo gibts das.
jodi what did she say?
susanne
this city is full of graveyards and strange waitresses. you see, dort hinten, rechts, der albener hafen, an dem es so lauschig ist, weil vertauschst du einen buchstaben von wien, hat du wein, und dann noch einen und du hast weib, diese heilige trias, which makes life so beautiful here.
jodi that sounds quite charming too. but I don’t get it.
anna never mind
jodi what are you talking about?
anna/susanne
hat an abgang gmacht
hat de patschn gstreckt
hat a bankl grissn
hat si niederglegt
hat de bock aufgstellt
hat an wurf angsagt
hat si d’schleifn gebn
hat di stufn packt
hat si owelossn und hats umebogn
is als arme seel zum petrus aufegflogn
is nachschaun gangn ob der deckel passt
is aussetragn wordn mit die fiaß voraus
jodi you scare me
anna scheiß dich nicht auch noch an die ganze zeit.
jodi pardon?
anna don’t shit on yourself, ok?
jodie what are you talking about?
susanne that’s just cultural, forget it.
jodi you make it worse.
susanne was?
jodi the fucking cold here
susanne get used to it.
jodi no. stop that. what are we going to do?
anna why should we do something at all?
jodi it’s getting dark and it’s getting colder. that doesn’t scare you?
anna just a bit frozen. so what?
jodi I’m dying.
anna that’s kitsch.
jodi stop that. what are we going to do? there must be something we could do. it’s not fun anymore.
anna it never was. but take my jacket.
susanne zu mir bist nie so nett.
anna es gibt kein nest ohne rahmung
susanne was?
anna halts zam. (legt die jacke um jodi) I mean hold it together.
jodi ok.
anna don’t be scared.
jodi ok.
anna really. there’s no need to be scared.
4.
18.46h
anna
dieser filou von einem vater, an den wir geraten waren, der jede woche eine andere flitschn. und das ganze immer in so einer grinzingperformance, von so einer grinzingperformance überzogen, wein, weib und gesang, das wäre ganz unterhaltsam gewesen, dieser kitsch, wenn er nicht unser alltag gewesen, wenn nicht jeder tag, jede stunde jedes tages jeder woche jedes monats, von dieser pervertierten wienerliedromantik vollgesoffen gewesen, ja, voll besoffen, weil wenn du beziehung immer nur denkst in diesen wörtern filou, flitschn, falott, gspusi und panscherl, wie gehts dir dann in deinem alltag? und von diesem charme war gar nichts mehr da dann, jahre später, als das richtige sterben einsetzte, da war das morbide dann nur noch grindig und einsam, ja, ganz allein war er beim sterben, dieser filou.
susanne ich seh nix mehr. meine augen sind eingfrorn. (rüttelt an anna) wie lang sitz ma jetzt da?
anna weiß nicht. a paar stunden.
susanne wir hättn gehn solln.
anna fangst wieder an?
jodi girls?
anna die hat was gsagt.
jodi can you hear me?
anna ja.
jodi I’m freezing.
anna ja. ich auch.
jodi pardon?
anna scheiß drauf.
jodi it’s not charming anymore. talk to me
schweigen
jodi do you think that makes me feel better?
susanne ja
anna nein
actually we don’t care
schweigen
jodi ok. got you. I’ll do it by myself.
(holt einen stadtplan aus der tasche)
show me at least on that fucking map where in this fucking city we are.
susanne
look here. der wienerwald, got it? der wienerwald sind die schamhaare meiner schwester, die irgendwelche wahnsinnigen immer wieder abrasieren wollten.
jodi is this where we are?
susanne
dabei bezieht meine schwester ihre ganze dynamik, ihre frische und ruhe aus diesem schamhaarwald in ihrem ausladenden wiener becken. wein, weib und gesang.
jodi is this the place where I have to get out?
susanne
die donau und der donaukanal sind ihre arme und das herz muss wohl der prater sein, an dem die lebenslust vorgeführt wird, wie alles hier ein großes theater /
jodi / wait.
susanne
die inneren organe verteilen sich auf die innenstadt und das weißgerberviertel, und da, wo meine schwester wohnt, wo ich wohne, da muss die leber sein, in der alle giftstoffe fein säuberlich wieder abgegeben werden. die leber ist wohl ihr wichtigstes organ, das dann auch als erstes seinen geist aufgegeben haben wird, was überraschend ist, weil es doch die lunge hätte sein sollen, von der das zu erwarten gewesen wäre, nicht wegen dem vielen rauchen, sondern weil die lunge das organ der trauer ist. dort, wo sich die trauer festhakt. diese trauer, die als gefühl einfach nicht auszuhalten ist, warum weiß ich auch nicht, diese trauer, die hochkriecht nach dem dritten glas wein, die sich hier immer nur als sentimentalität, als selbstmitleidige ahnung einer traurigkeit aufführen kann, wie im prater. immer ist hier immer alles wie im prater.
jodi get back to that fucking map.
susanne I’m talking to you.
jodi I asked you to show me the way.
anna shut the fuck up bloody tourist
jodi stop telling me all of your private shit. nobody cares.
anna it’s never private.
jodi got it. however. go on fucking yourself.
jodi nimmt ihren rucksack und ab.
susanne wait!
anna die hört dich nimmer.
susanne wo will sie hin? da is ja nix
anna was weiß ich. wird schon wieder kommen.
susanne na super.
anna bleib da.
susanne wie stellst dir das vor, die allein, bei dem schnee?
anna so what?
susanne vergiss es.
susanne rennt jodi hinterher.
anna
über den bahnsteig am westbahnhof zieht sich eine absperrung, das gebäude am ende ist verlassen. hinter den mit staub und schmutz bedeckten fenstern liegt geröll, mauerbrocken, abgerissene stahlgitterteile. sie pressen gegen die fenster, drücken eines der fenster nach außen. der obere teil des fensters hängt schräg nach vorne, zu mir hin. im glas fehlen stücke, dreieckig, teilweise abgerundet, wie formationen auf einem gefrorenen see, wenn die horden an eislaufenden wieder abgefahren sind und es dunkel wird. das fenster hält stand, es ist nicht aus seiner fassung herausgebrochen. vielleicht ist es gar kein gebäude, sondern bloß eine fassade, die letzte, die hier noch aufrecht steht. vielleicht ist das auch nur das, was meine schwester fühlt.
5.
19.27h.
susanne kommt eingeschneit zurück.
anna umarmt sie kurz, distanziert, unsicher.
susanne spürst dich noch?
anna ich weiß nicht. alles is taub.
susanne vielleicht solltest dich bewegen.
anna wohin?
susanne ich weiß nicht. bewegen halt.
anna wohin?
susanne na nur im kreis.
anna im kreis?
susanne willst weiterfriern hier?
anna hast das gfunden?
susanne nein
anna und jetzt?
susanne fallt dir was besseres ein?
schweigen
anna da kommt was.
susanne was?
anna siehst das?
susanne was?
anna na dort.
susanne wo?
anna na dort, schau doch. da hinten.
susanne ich seh nix.
anna wo is die hin? wenn der zug jetzt kommt.
susanne die kamera is eh da.
anna und weiter?
susanne nimmt die kamera.
susanne na was gwonnen halt.
jodi kommt wieder zur bank.
jodi (deutet auf den zug) is this the way out?
susanne I was looking for you. where have you been?
jodi city center?
anna well.
jodi give it to me!
anna don’t be scared.
jodi I said give it to me.
susanne wart a sekunden wait a second.
anna jetzt gibs ihr schon.
jodi I’m not gonna miss that train only because you are stuck to that fucking place.
susanne don’t be so trapped in yourself. (zu anna) stell dich hin zu ihr. und dann look at me. smile.
anna I told you she’s crazy.
jodi what is she doing?
susanne you know, you can put this in the internet. your friends will find it awesome, your adventure in the heart of europe, got me?
anna drück ab endlich.
susanne just make it real.
jodi nimmt susanne die kamera weg.
jodi thanks.
anna welcome.
jodi finally.
jodi, anna und susanne steigen in den zug.
anna
meine schwester dämpft die zigarette aus, wir steigen in den waggon. immer setzen wir uns in ein leeres viererabteil, einander gegenüber, und immer fährt der zug an, und immer rollt mit ihm die felberstraße neben uns her. immer sieht meine schwester aus dem fenster, sie schweigt, immer schweigt sie, und auch mir fällt nie etwas brauchbares ein. immer hat sie mich betrachtet als ihr territorium, nie als eine landschaft, und immer sage ich nichts, habe ich nichts gesagt. immer versucht sie, mit einer straßenkarte von kalifornien den wienerwald zu durchqueren.
susanne
ich schaue aus dem zugfenster, meine schwester sieht mich an. keine von uns hat ein wort gesagt. gerade reden wir das notwendigste. alltägliches. ich bin in das netz meiner schwester verstrickt. nicht wie eine spinne, die es als ihren ort beansprucht. eher wie ein blatt oder ein kleines stück holz oder dreck oder was weiß ich, das sich da drin verfangen hat. zufällig.
anna (zu jodi) sit next to us!
jodi I’m not sure.
susanne you’ll have fun.
jodi I’m not sure.
anna don’t be so grumpy.
jodi I’m not.
anna well, critical.
jodi I’m not.
anna you are.
jodi I told you I’m not.
anna schau.
susanne was?
anna jetzt is ankommen.