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Fotos: Alexandra Riegler

zum Stück

Zwei Wiener Schwestern an der Schnellbahnstation Zentralfriedhof auf ihrem Weg in die Stadt. Eine Reise in die Vergangenheit, mit einer amerikanischen Touristin mit im Gepäck.

Ein autobiographisches Stadtporträt.

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netz/nest

(2010)

publiziert in: wortstätten anthologie nr. 4. edition exil, Wien 2010

UA 2010  Garage X, Wien; Auskoppelung aus: Mein Wien – Vier dramatische Episoden. Von Ana Bilic, Jasmina Eleta, Ursula Knoll & Rhea Krcmárová. UA Kabelwerk Wien, Oktober 2009

figuren:

susanne

anna

jodi

1.

schnellbahnstation zentralfriedhof. 14.46h.

susanne steht und wartet. jodi, einen tramperrucksack auf dem rücken, steht neben ihr.

 

 

jodi                  (zeigt in richtung stadt) city center?

 

susanne          ja

 

jodi                 vienna?

 

susanne          ja, ja.

 

jodi                 you’re sure?

 

susanne          ja.

 

jodi                 does not look like.

 

susanne          (zuckt mit den achseln) ja.

 

susanne setzt sich auf die bank. jodi packt eine kamera aus und beginnt zu fotografieren.

jodi will ein bild von susanne machen.

 

susanne           you should ask before.

 

jodi                  sorry. so, may I?

 

susanne           nein.

 

jodi                  why not?

 

susanne           I don’t want to.

 

jodi                  but you look nice.

 

susanne           I said I don’t want to.

 

jodi                  ok.

 

jodi macht weiter fotos.

 

susanne          

jeder bahnhof, sogar diese station im nirgendwo, die sich zwischen die felder pickt, ist wie der westbahnhof. der himmel ist grau, wie fast immer in dieser stadt. meine schwester und ich stehen am bahnsteig, rauchen eine schnelle zigarette. budapest, bukarest, basel. wir können es uns aussuchen. am ende wird es wohl linz oder graz oder salzburg werden. immerhin. ein anderes grau sehen. es geht um uns, nicht um den ort, haben wir beschlossen, und entscheiden uns für den nächstmöglichen, egal wohin.

 

jodi                 (deutet auf den zentralfriedhof) what’s this?

 

susanne           for sightseeing.

 

jodi                 oh yes?

 

susanne           ja.

 

jodi                 can you take a picture of me?

 

susanne           you’re sure?

 

jodi                 ja.

 

jodi stellt sich unter das schild zentralfriedhof. susanne macht das foto.

 

jodi                 thanks.

 

susanne          no problem.

 

jodi                 you’re nice.

 

susanne           ja.

 

jodie                so this is a famous place?

 

susanne          

hinter dem zug nach bukarest, der am gleis daneben bereit steht, ziehen sich die dächer der zinshäuser. ein zweiter, viel längerer zug. die felberstraße. die straße, die uns am vertrautesten von allen straßen ist. war. ich muss sagen war. die straße, die für so vieles, für so widersprüchliches steht. stand. ich muss sagen stand. jeden tag gingen wir den weg in die schule am maschendrahtzaun entlang, das fahren der personenzüge, lastzüge, lokomotiven beobachtend. wir streckten unsere finger durch die löcher. nur ein paar meter, die böschung hinunter, und wir konnten überallhin, wohin wir wollten, die hand ein wenig weiter ausgestreckt, noch weiter weg, wohin wir uns träumten.

 

jodi                 so this is a famous place?

 

susanne          ja.

 

jodi                 cool.

 

anna kommt auf den bahnsteig und auf die beiden zu.

 

jodi                 vienna?

 

susanne          ja.

 

jodi                 you’re really sure?

 

susanne          of course.

 

anna setzt sich neben susanne. sie zünden sich eine zigarette an.

 

anna               warum rennst mir immer davon?

 

jodi                 that’s bad for your health.

 

anna               so what?

 

schweigen

 

jodi                 where do you come from?

 

susanne deutet auf den zentralfriedhof.

 

jodi                 no, I mean /

 

anna                / where are you from?

 

jodi                 I came directly from the plane.

 

anna               no, where do you come from?

 

jodi                 the airport.

 

anna               got it. falsch ausgstiegn.

 

susanne          (zeigt auf den himmel) das wird immer dichter, da oben.

jodi                 yes, yes. airplane.

 

anna                ich versteh eh.

 

jodi                 is it true, that everything is so old here?

 

anna                ja.

 

susanne          nein. sie is ende zwanzig.

 

jodi                 that’s so awesome.

 

susanne          nein. beklemmend is.

 

jodi                 what?

 

susanne          it is (würgt an ihrem hals) you know.

 

jodi                 why? you should be proud to live in a tradition like this.

 

susanne          derschlagen tuts dich, manchmal.

 

jodi                 pardon?

 

anna               

immer zog mich meine mutter am arm, es war herbst, zog mich am arm, die felberstraße hinunter, an einem hauseingang vorbei, in dem eine frau stand, mit kurzem schwarzem kleid, hohen stiefeln, einer dünnen jacke, und immer fragte ich meine mutter, was sie hier tue, und immer sagte meine mutter, sie warte auf ihren freund, und immer fragte ich sie, warum die frau so dünn bekleidet sei, wo ich doch in meiner hässlichen kinderjacke fror, und immer wieder liefen wir, in trachten gesteckt, in walkjanker und dirndl geschnürt, die beiden kleinen mädchen in dirndl gezwängt, sie darin eingeschnürt, auf dem weg zur kirche an dieser frau vorbei, mit diesen idiotischen kniestrümpfen, die die haut auf meinen beinen bis zur unerträglichkeit reizten und ich nicht kratzen durfte, weil es sich für eine dirndlhaltung nicht schickte, und immer hielt ich ausschau nach der frau, die auf ihren freund warten musste und immer stellte ich mir vor, wie sie sich fragen würde, warum ich bei diesem wetter mit kniestrümpfen mit löchern die straße entlanglief.

 

susanne          I said it’s sometimes punching your head.

 

jodi                 what?

 

susanne          the tradition.

 

jodi                 I don’t get it.

susanne          never mind.

 

jodi                 is this a german metaphor?

 

susanne          nein.

 

anna               was nein?

 

susanne          es war sommer.

 

anna               egal

 

susanne                      

es war sommer, ich lief die felberstraße mit meinen brandneuen converse hinunter. es regnete, die stoffschuhe hatten sich binnen kürzester zeit mit wasser vollgesogen, sodass mein laufen eher einem watscheln gleichkam, und doch watschelte ich stolz, im bewusstsein, dass mich diese schuhe kein kind mehr sein ließen, die felberstraße hinunter, bis zur großen kreuzung am ende, wo fünf straßen zusammenliefen, wo ich die ampelschaltung nach sekunden genau auswendig wusste, wo die züge über die brücke hoch über mir hinwegrollten. die felberstraße sah mir zu, wie ich da stand, in meinen schicken converse, im geruch der autoabgase, eingehüllt in den gleichmäßigen lärm der räder auf den schienen. sie sah mir zu, wie mein körper länger wurde, meine haut unreiner, mein busen – eine katastrophe – komisch abzustehen begann und mein selbstverständnis als kleiner bub komplett unterlief. sie sah mir zu /

 

anna               

/ es war winter, immer war es winter, die felberstraße vereist, und immer rutschte ich sie mit meinen brandneuen converse hinunter, und immer lag auf dem gehsteig eine alte frau, immer direkt vor mir. ihr blick traf mich, ich sah weg, verlangsamte meinen schritt, und immer wusste ich, ich sollte hingehen und ihr aufhelfen, ihren körper auf meine arme stützen und sie hochziehen, und immer grauste mir nur. ich sah dieses braune bündel vor mir auf dem boden. so wie mein vater da gelegen hatte, sturzbetrunken, in seinem walkjanker, ein paar wochen zuvor, nur einige hundert meter von der stelle entfernt. so wie ich ihn liegen gelassen, wie ich mich nicht mehr nach ihm umgedreht hatte, immer, ohne zu wissen, dass es das letzte mal in meinem leben gewesen sein sollte, dass ich ihn sah. die frau blickte mich an, immer blickte sie mich an, während ich langsam um sie herum ging, dann schneller, immer schneller, in meinem rücken spürte ich sie ganz deutlich. ich schämte mich. immer schämte ich mich für mich, für sie, für meinen vater.

 

susanne          nein.

 

anna                was nein?

 

susanne          es war herbst.

 

jodi                 nein. nein. nein.

 

anna/susanne   was nein?

 

jodi                 you are cute when you talk in this language.

 

anna                warum rennst mir immer davon?

 

susanne           du warst so langsam.

 

anna                ich hab die kerzen noch anzunden. das hättst abwarten können.

 

susanne           wollt dich nicht stören.

 

anna gibt susanne eine kerze.

 

anna                ich mach die arbeit nicht für dich.

 

susanne           hab dich auch nicht drum beten. is dein scheiß jahrestag.

 

anna                seiner.

 

susanne           is dein ganzes tamtam.

 

anna                spürst nie eine traurigkeit.

 

susanne           drück mich halt anders aus.

 

anna                sieht ma nix davon.

 

jodi                  so there’s no sun here?

 

anna                never. but you should go to the alpen, there it is beautiful and full of sun.

 

jodi                 I see.

 

susanne           that’s not true.

 

anna                you know skiing?

 

jodi                 no.

 

anna wirft sich in skipose.

 

anna                you see.

 

jodi                 oh that’s cute.

 

anna                you see, this is really cultural.

 

susanne           don’t listen to her. she just makes fun of you. she loves to play the strange yokel.

 

jodi                 I see.

 

anna                was hast gsagt?

 

susanne           nix.

 

anna                dass ich ein jogel bin.

 

susanne           1km gegen den wind.

 

anna                was is dein problem?

 

susanne           nix.

 

anna                was mischt dich dann ein?

 

susanne           lass in frieden.

 

anna                was geht dich das an? (zu jodi) she’s a crazy girl.

 

jodi                 I see.

 

anna                where do you go?

 

jodi                 to vienna.

 

anna                no where do you go? anyways you should go to the alpen. it is more beautiful there.

 

jodi                 ok.

 

anna                listen to me.

 

jodi                 ok.

 

susanne           jetzt lass endlich in frieden.

 

anna                was zickstn rum da die ganze zeit?

 

susanne           du nervst.

 

anna                she is totally (tippt sich mit dem finger an die stirn) plemplem.

 

jodi                 oh that’s cute. plemplem?

 

anna                plemplem

 

jodi                 I see.

 

susanne          geh sterbn endlich.

 

jodi                 why are you fighting all the time? are you lesbi?

 

anna                she’s my sister

 

jodi                 oh I see.

 

anna                ja

 

jodi                 I see

 

anna                ja

 

jodi                 when does the train come?

 

susanne           it should have been here 10 minutes ago.

 

anna                no hurry. you know, we are really kommod.

 

jodi                 commode?

 

anna                verstehst? (lehnt sich zurück) comfortable.

 

jodi                 a comfortable commode?

 

anna                ja.

 

jodi                 ok.

 

susanne           wer soll das sein, wir?

 

anna                warum redest dagegen, immer wenn ich was sag?

 

susanne           in jeder kleinigkeit hast was von großer oper. immer fühl ich mich dadurch auch tragisch.

 

anna                dann schleich dich halt.

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2.

 

15.46h

 

jodi                 it’s fucking cold here.

 

susanne           ja.

 

jodi                 where’s the train?

 

susanne          don’t know

 

anna               über eine stunde is das jetzt.

 

susanne          ich hab dir gsagt, da braut sich was zam.

                        scheißwind scheißschnee. I mean: shitwind shitsnow

 

jodi                 is there always a wind like this?

 

susanne          the whole city is only wind, verstehst?

 

jodi                  no.

 

susanne          na scheiß drauf.

 

anna                alles friert da ein langsam.

 

jodi                 is this normal?

 

anna               nein.

 

susanne          ja.

 

anna                no, it’s not.

                        but I told you you should have gone skiing, verstehst?

 

jodi                 I see.

 

susanne          hast du an empfang?

 

anna                nein.

 

susanne          was machma jetzt?

 

anna                na sitzen halt.

 

jodi                 (deutet auf susannes gesicht) what’s this?

 

anna                what?

 

jodi                 here, on her cheek.

 

susanne           eisblumen krieg ich halt.

 

anna                was?

 

susanne           na eisblumen. da, schau, im gsicht.

 

jodi                 what’s wrong?

 

anna                there are iceflowers in her face.

 

jodi                 iceflowers?

 

anna                na so bletschn im gsicht halt. that’s normal.

 

jodi                 I see.

 

anna                that’s how she normally reacts.

 

jodi                 I see.

 

anna legt ihre hände auf susannes gesicht.

 

susanne          danke

 

anna                wirds warm so?

 

susanne          ja.

 

anna                soll ich reiben?

 

susanne          ja.

 

anna                tu ich dir weh?

 

susanne          nein.

 

anna               wirklich?

 

susanne          nein. ich mein ja.

 

anna                ja?

 

susanne          ja.

 

anna                wirklich?

 

susanne          ja.

                       

schweigen. susanne legt ihre hände auf annas hände.

 

susanne          

meine schwester wohnt im haus gegenüber, das eigentlich dasselbe haus ist, denn es ist ein kleines haus im hof eines großen hauses, aber ein- und dasselbe haus, in einer anderen straße, weit weg von der felberstraße. von meinem fenster sehe ich zu ihrem hinüber. seit ich denken kann, ist meine schwester da, wo ich bin, seit ich denken kann, sind meine schwester und ich ineinander verstrickt. immer hatten wir diese räumliche nähe, die nicht unbedingt und automatisch wirkliche nähe, intimität, mit sich bringt.

 

anna                           

meine schwester dämpft die zigarette aus. wenn sie spricht, ist ihre stimme manchmal so hoch, dass ich angst kriege, sie werde abheben, sie, diese dünne, zarte frau, werde abheben wie ein heißluftballon, fortgetragen von ihren sätzen, die mich immer halb zurücklassen, immer unsicher, worauf ich achten soll, auf die zwischenräume, die vielen leerstellen zwischen ihren wörtern oder die wörter selbst, hervorgepiepst, denen ich so wenig trauen kann.

jodi will ein foto von den beiden machen.

 

jodi                 that’s awesome

 

susanne hält ihre hand gegen die kamera.

 

jodi                 come on.

 

anna                (zu jodi) hör auf. she told you that she hates that.

 

jodi                 it’s a pity.

anna                why are you so unfriendly all the time. (zu jodi) I’m sorry.

 

jodi                 that’s ok.

susanne          bin ich nicht

 

anna                bist du

 

jodi                 people don’t seem unfriendly here.

 

anna               des sans.

 

jodi                 distance?

 

anna                no I said they are.

 

susanne          she’s joking.

 

jodi                 I see.

 

susanne          this is the most beautiful place when you can leave it. believe me.

 

anna                no. when you come back.

 

susanne          wennst gehn kannst.

 

anna                wennst zurück kannst.

 

jodi                 that’s kitsch anyway.

 

susanne          no, that’s how we feel.

 

jodi                 what‘s the difference?

 

susanne          

vielleicht lässt sich als einziges sagen, dass ich mich meiner schwester nur nah fühle, wenn ich von ihr weg kann, in dem augenblick, wo ich in den zug oder ins flugzeug steige, ganz egal, getrennt von ihr. vielleicht ist das aber auch verkehrt. vielleicht lässt sich als einziges sagen, dass ich mich meiner schwester nur nah fühle, wenn ich wieder zu ihr zurück kann, in dem augenblick, wo ich aus dem zug oder dem flugzeug aussteige, wieder zu ihr hin. vielleicht ist das aber auch genau dasselbe.

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3.

 

16.46h

 

anna                was macht die grad?

 

susanne           egal.

 

anna                die hat schon lang nix mehr gsagt.

 

susanne           schaut eh glücklich aus.

 

anna                aber so schief sitzen tuts.

 

susanne           träumen wirds.

 

anna                von was?

 

susanne           was weiß ich.

 

anna                von was solls träumen, bei dem wind?

 

susanne           nur weil du nix träumst, bei dem wind, kanns ja trotzdem.

 

anna                was is, wenn mit der wirklich was is?

 

susanne           was soll sein?

 

anna                na schaus an.

 

susanne           eingfrorn is halt.

 

anna                aber die lächelt so.

 

susanne           wie?

 

anna                so amerikanisch

 

susanne           na eh

 

anna                wenn die uns abdriftet, wirds noch gschissener hier.

 

susanne           dann mach halt.

 

anna                hey you

                        hello?

                        are you ok?

 

jodi                 

california offers unparalleled diversity. the diversity of culture, scenic beauty and things to do make california unlike any other place in the world. you        would never want to leave it.

 

anna                 geh drehs ab wieder.

 

susanne           is eh schön. (zu jodi) this sounds charming, go on.

 

jodi                            

yes. you may have missed your opportunity to strike it rich during the california gold rush, but local landmarks, annual celebrations, and history museums in auburn, nevada city, and angel’s camp will take you back. you can still pan for gold on the rivers that run throughout this region, though fishing, rafting and kayaking are more popular nowadays. you should go there.

 

susanne          ja

jodi                 honestly.

 

susanne          would like to.

 

jodi                     

drive through the central valley, and you’ll see evidence of how life here has historically revolved around agriculture. you’ll find incredible farmer’s markets, roadside produce stands, and festivals that celebrate local specialties: wine, tomatoes, asparagus, cheese and more.

 

susanne           I really would like to go there one day.

 

jodi                 you can come with me.

 

susanne           you’re sure?

 

jodi                 why not. you seem nice.

 

susanne          du auch.

 

jodi                 you really seem nice, when you stop being so shy.

 

susanne          ja. you really seem nice too.

 

jodi                 I can show you everything. we can get a car and /

 

anna                / mit der straßenkarte von kalifornien ganz simmering durchwandern.

 

susanne           drückst dich selber, vorm leben.

 

anna               

im sommer, im sommer ist das fantastisch hier, weil dort hinten, rechts hinten, dort ist der friedhof der namenlosen mit dem albener hafen, an dem die ganzen wasserleichen anonym angespült und wahrscheinlich vollgesoffen von wasser, ja, voll besoffen aus der donau herausgefischt, und dort gibt es ein gasthaus, mit einer kellnerin, die kommt alle 3 minuten, alle 3 minuten kommt sie mit ihren schwarzen nylonkniestrümpfen, klobigen kellnerinnenschuhen und dieser weißen schürze über ihr schwarzes kleid gebunden, die haare zu einem strengen knoten nach hinten drapiert, mit einem riesigen tablett nobler surschnitzel und weißen dopplern, alle 3 minuten surschnitzel und doppler, und alles wirkt so verlassen, alles wirkt wie vor jahrzehnten da hingestellt und nie wieder angeschaut, wie diese kellnerin, wo gibts das.

 

jodi                 what did she say?

 

susanne                      

this city is full of graveyards and strange waitresses. you see, dort hinten, rechts, der albener hafen, an dem es so lauschig ist, weil vertauschst du einen buchstaben von wien, hat du wein, und dann noch einen und du hast weib, diese heilige trias, which makes life so beautiful here.

 

jodi                 that sounds quite charming too. but I don’t get it.

 

anna                never mind

 

jodi                 what are you talking about?

 

anna/susanne             

hat an abgang gmacht

hat de patschn gstreckt

hat a bankl grissn

hat si niederglegt

hat de bock aufgstellt

hat an wurf angsagt

hat si d’schleifn gebn

hat di stufn packt

hat si owelossn und hats umebogn

is als arme seel zum petrus aufegflogn

is nachschaun gangn ob der deckel passt

is aussetragn wordn mit die fiaß voraus

 

jodi                 you scare me

 

anna                scheiß dich nicht auch noch an die ganze zeit.

 

jodi                 pardon?

 

anna                don’t shit on yourself, ok?

 

jodie                what are you talking about?

 

susanne           that’s just cultural, forget it.

 

jodi                 you make it worse.

 

susanne          was?

 

jodi                 the fucking cold here

 

susanne          get used to it.

 

jodi                 no. stop that. what are we going to do?

 

anna               why should we do something at all?

 

jodi                 it’s getting dark and it’s getting colder. that doesn’t scare you?

 

anna                just a bit frozen. so what?

 

jodi                 I’m dying.

 

anna                that’s kitsch.

 

jodi                  stop that. what are we going to do? there must be something we could do. it’s not fun anymore.

 

anna                it never was. but take my jacket.

 

susanne           zu mir bist nie so nett.

 

anna                es gibt kein nest ohne rahmung

 

susanne           was?

 

anna                halts zam. (legt die jacke um jodi) I mean hold it together.

 

jodi                 ok.

 

anna                don’t be scared.

 

jodi                 ok.

 

anna                really. there’s no need to be scared.

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4.

 

18.46h

 

anna                

dieser filou von einem vater, an den wir geraten waren, der jede woche eine andere flitschn. und das ganze immer in so einer grinzingperformance, von so einer grinzingperformance überzogen, wein, weib und gesang, das wäre ganz unterhaltsam gewesen, dieser kitsch, wenn er nicht unser alltag gewesen, wenn nicht jeder tag, jede stunde jedes tages jeder woche jedes monats, von dieser pervertierten wienerliedromantik vollgesoffen gewesen, ja, voll besoffen, weil wenn du beziehung immer nur denkst in diesen wörtern filou, flitschn, falott, gspusi und panscherl, wie gehts dir dann in deinem alltag? und von diesem charme war gar nichts mehr da dann, jahre später, als das richtige sterben einsetzte, da war das morbide dann nur noch grindig und einsam, ja, ganz allein war er beim sterben, dieser filou.

 

susanne           ich seh nix mehr. meine augen sind eingfrorn. (rüttelt an anna) wie lang sitz ma jetzt da?

 

anna                weiß nicht. a paar stunden.

 

susanne           wir hättn gehn solln.

 

anna                fangst wieder an?

 

jodi                 girls?

 

anna               die hat was gsagt.

 

jodi                 can you hear me?

 

anna                ja.

 

jodi                 I’m freezing.

 

anna                ja. ich auch.

 

jodi                 pardon?

 

anna               scheiß drauf.

 

jodi                 it’s not charming anymore. talk to me

 

schweigen

 

jodi                 do you think that makes me feel better?

 

susanne           ja

 

anna                nein

                        actually we don’t care

 

schweigen

 

jodi                    ok. got you. I’ll do it by myself.

                          (holt einen stadtplan aus der tasche)

                           show me at least on that fucking map where in this fucking city we are.

 

susanne                      

look here. der wienerwald, got it? der wienerwald sind die schamhaare meiner schwester, die irgendwelche wahnsinnigen immer wieder abrasieren wollten.

 

jodi                             is this where we are?

susanne          

dabei bezieht meine schwester ihre ganze dynamik, ihre frische und ruhe aus diesem schamhaarwald in ihrem ausladenden wiener becken. wein, weib und gesang.

 

jodi                 is this the place where I have to get out?

 

susanne          

die donau und der donaukanal sind ihre arme und das herz muss wohl der prater sein, an dem die lebenslust vorgeführt wird, wie alles hier ein großes theater /

 

jodi                 / wait.

 

susanne          

die inneren organe verteilen sich auf die innenstadt und das weißgerberviertel, und da, wo meine schwester wohnt, wo ich wohne, da muss die leber sein, in der alle giftstoffe fein säuberlich wieder abgegeben werden. die leber ist wohl ihr wichtigstes organ, das dann auch als erstes seinen geist aufgegeben haben wird, was überraschend ist, weil es doch die lunge hätte sein sollen, von der das zu erwarten gewesen wäre, nicht wegen dem vielen rauchen, sondern weil die lunge das organ der trauer ist. dort, wo sich die trauer festhakt. diese trauer, die als gefühl einfach nicht auszuhalten ist, warum weiß ich auch nicht, diese trauer, die hochkriecht nach dem dritten glas wein, die sich hier immer nur als sentimentalität, als selbstmitleidige ahnung einer traurigkeit aufführen kann, wie im prater. immer ist hier immer alles wie im prater.

 

jodi                 get back to that fucking map.

 

susanne          I’m talking to you.

 

jodi                 I asked you to show me the way.

 

anna               shut the fuck up bloody tourist

 

jodi                 stop telling me all of your private shit. nobody cares.

 

anna               it’s never private.

 

jodi                 got it. however. go on fucking yourself.

 

jodi nimmt ihren rucksack und ab.

 

susanne           wait!

 

anna                die hört dich nimmer.

 

susanne           wo will sie hin? da is ja nix

 

anna                was weiß ich. wird schon wieder kommen.

 

susanne           na super.

 

anna                bleib da.

 

susanne           wie stellst dir das vor, die allein, bei dem schnee?

 

anna                so what?

 

susanne          vergiss es.

 

susanne rennt jodi hinterher.

 

anna                           

über den bahnsteig am westbahnhof zieht sich eine absperrung, das gebäude am ende ist verlassen. hinter den mit staub und schmutz bedeckten fenstern liegt geröll, mauerbrocken, abgerissene stahlgitterteile. sie pressen gegen die fenster, drücken eines der fenster nach außen. der obere teil des fensters hängt schräg nach vorne, zu mir hin. im glas fehlen stücke, dreieckig, teilweise abgerundet, wie formationen auf einem gefrorenen see, wenn die horden an eislaufenden wieder abgefahren sind und es dunkel wird. das fenster hält stand, es ist nicht aus seiner fassung herausgebrochen. vielleicht ist es gar kein gebäude, sondern bloß eine fassade, die letzte, die hier noch aufrecht steht. vielleicht ist das auch nur das, was meine schwester fühlt.

5.

19.27h.

 

susanne kommt eingeschneit zurück.

anna umarmt sie kurz, distanziert, unsicher.

 

susanne           spürst dich noch?

 

anna                ich weiß nicht. alles is taub.

 

susanne           vielleicht solltest dich bewegen.

 

anna                wohin?

 

susanne           ich weiß nicht. bewegen halt.

 

anna                wohin?

 

susanne           na nur im kreis.

 

anna                im kreis?

 

susanne           willst weiterfriern hier?

 

anna                hast das gfunden?                 

 

susanne           nein

 

anna                und jetzt?

 

susanne           fallt dir was besseres ein?

 

schweigen

 

anna                da kommt was.

 

susanne           was?

 

anna                siehst das?

 

susanne           was?

 

anna                na dort.

 

susanne           wo?

 

anna                na dort, schau doch. da hinten.

 

susanne           ich seh nix.

 

anna                wo is die hin? wenn der zug jetzt kommt.

 

susanne           die kamera is eh da.

 

anna                und weiter?

 

susanne nimmt die kamera.

 

susanne           na was gwonnen halt.

 

jodi kommt wieder zur bank.

 

jodi                 (deutet auf den zug) is this the way out?

 

susanne          I was looking for you. where have you been?

 

jodi                 city center?

 

anna               well.

 

jodi                 give it to me!

 

anna               don’t be scared.

 

jodi                 I said give it to me.

 

susanne          wart a sekunden wait a second.

 

anna                jetzt gibs ihr schon.

 

jodi                  I’m not gonna miss that train only because you are stuck to that fucking place.

 

susanne           don’t be so trapped in yourself. (zu anna) stell dich hin zu ihr. und dann look at me. smile.

 

anna                I told you she’s crazy.

 

jodi                  what is she doing?

 

susanne           you know, you can put this in the internet. your friends will find it awesome, your adventure in the heart of europe, got me?

 

anna                drück ab endlich.

 

susanne           just make it real.

 

jodi nimmt susanne die kamera weg.

 

jodi                 thanks.

 

anna               welcome.

 

jodi                 finally.

 

jodi, anna und susanne steigen in den zug.

 

anna                           

meine schwester dämpft die zigarette aus, wir steigen in den waggon. immer setzen wir uns in ein leeres viererabteil, einander gegenüber, und immer fährt der zug an, und immer rollt mit ihm die felberstraße neben uns her.    immer sieht meine schwester aus dem fenster, sie schweigt, immer schweigt sie, und auch mir fällt nie etwas brauchbares ein. immer hat sie mich betrachtet als ihr territorium, nie als eine landschaft, und immer sage ich nichts, habe ich nichts gesagt. immer versucht sie, mit einer straßenkarte von kalifornien den wienerwald zu durchqueren.

 

susanne          

ich schaue aus dem zugfenster, meine schwester sieht mich an. keine von uns hat ein wort gesagt. gerade reden wir das notwendigste. alltägliches. ich bin in das netz meiner schwester verstrickt. nicht wie eine spinne, die es als ihren ort beansprucht. eher wie ein blatt oder ein kleines stück holz oder dreck oder was weiß ich, das sich da drin verfangen hat. zufällig.

 

anna               (zu jodi) sit next to us!

 

jodi                 I’m not sure.

 

susanne          you’ll have fun.

 

jodi                 I’m not sure.

 

anna               don’t be so grumpy.

 

jodi                 I’m not.

 

anna               well, critical.

 

jodi                 I’m not.

anna               you are.

 

jodi                 I told you I’m not.

 

anna               schau.

 

susanne          was?

 

anna               jetzt is ankommen.

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